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Spring!

Damals in Indien


Zwei Monate Backpacking in Indien liegen hinter mir, das macht sich jetzt bezahlt.


Euphorisch winke ich den zweien mit den frisch ergatterten Fährentickets zu.


In Zukunft werde ich diese durchaus erwähnenswerte Fähigkeit in meinem mageren Lebenslauf anführen.

Besondere Skills: „Beharrliches Durchhaltevermögen in belastenden Ausnahmesituationen.“

Also, wenn mir das keinen Job einbringt, dann weiß ich auch nicht mehr ...


Die Fähren sind einfach, dienen ihrem Zweck aber voll und ganz.

Adler sitzt im vorderen Teil des leeren Schiffes, während Peter sich ganz hinten und ich mich in der Mitte einreihe.

„Welcome to India“, schreit Adler zu uns zurück und setzt sich in die menschenleere Reihe. „Echt, die Inder, die spinnen doch! Erkennt hier irgendeiner ein brauchbares System?“

„Hör auf alles kontrollieren zu wollen!“, schallt es aus der letzten Reihe. „Wir sind in Indien, hier ist einfach alles möglich!“


Aufgeregt schmunzle ich vor mich hin.

Ich genieße die fast zweistündige Überfahrt in vollen Zügen.

Alles was mit Meer, Schiffen & Sonne und so zu tun hat, lässt mein Herz einfach höherschlagen.

Glücklich, nur ein bisschen Blech und ansonsten nur das tiefe Wasser unter meinen Füssen zu haben, beobachte ich das stille Treiben auf See. Die Zeit vergeht wie im Fluge, wie sie es eben immer tut, wenn man das macht, was man liebt.


160 Minuten später:


Ohne großes Aufsehen legt die Fähre an ein paar abgewetterten, nassen Holzbrettern an.

Rasch füllt sich das leere Schiff.

Ziegen, Männer und Hühner, die in Boxen gehalten werden, stürmen gleichzeitig auf das Schiffsdeck.

Enthusiastisches, geradezu hektisches Gewusel weichen der trügerischen Stille und übernimmt das Kommando an Bord.

Alles läuft und brüllt wild durcheinander, während sich Tier und Mensch immer tiefer in den Bauch des Schiffes schieben.

Von meinem an die Wand geschraubten Plastikstuhl aus, beobachte ich das laute Chaos ganz genau. Ich weiß gar nicht, wohin ich als erster sehen soll.

So viel durcheinander, so viel Chaos, so viel Ballagan - I LOVE IT!! Aufgeregt klatsche ich im unrhythmischen Takt der neuen Passagiere.


Plötzlich erblicke ich Adler, der von seinem Platz aufspringt und jeden an Board um zwei Köpfe überragt.

Auch Peter und ich stehen jetzt auf unseren Plätzen. Wie drei Riesen in Schlumpfhausen, kommunizieren wir aufgeregt über die Köpfe der Einheimischen hinweg.


„Wo kommen all die Männer, Frauen und Viecher her?“, schreit Peter ins Vorderdeck. „Weißt du, wo wir sind?“, will er nervös von uns wissen.

„Where are we going to? Sorry Madam, where am I?“, fragt Adler hektisch die neuen Passagiere, die sich bei ihm vorbei arbeiten, während er sich in gebückter Haltung kleiner macht.

Als endlich jemand Notiz vom jungen Norweger nimmt, bekommt er anstatt einer Antwort ein Handy vor sein Gesicht gedrückt.


„Hello! Hello Sir, please a Foto Sir?“ ein Foto bitte …

Alle Passagiere, die ein Mobilephone griffbereit haben, (4-Beiner ausgenommen, die sind natürlich offline) schießen jetzt ungefragt Fotos mit uns. Wir sind die Attraktion des Tages! Auch das ist Indien. Die Bewohner des bunten Subkontinents lieben es, mit uns Touristen fotografiert zu werden. Ganz egal wo und wie, ein Selfie geht immer ....


Peter posiert, was das Zeug hält, während ich mit meinem „bad hair day“ verdattert in die Linsen starre.


Endlich erfährt Adler, dass wir auf Neil Island sind – oder waren. Denn, wir sind grade wieder ausgelaufen.

„Sch..........., wir sind da!“, schreit Adler hysterisch, der nun endgültig seine zurückhaltenende Art über Board geworfen hat. Ja, dieses Land lockt alle aus der Reserve. Selbst den unterkühlten, schüchteren ,Norweger.

„Neil! Aussteigen! Rennen! Jetzt!“, brüllt er mit knallrotem Kopf über die bunten Saris hinweg.


Hastig schnappe ich mir meinen Rucksack und steuere kampfeswillig, wie ein Kamikaze Flieger den Ausgang an.

Peter, der den längsten Sprint vor sich hat, tut es mir gleich.

Ich schreie, was das Zeug hält, während ich mich mit aller Kraft durch den Gegenverkehr arbeite. Out of my way....let me pass... I am so sorry.. move... !

Geschafft! Aber als ich am Ausgang neben Adler stehe, sind die Leinen schon gelöst. Es ist zu spät.

Die Fähre bewegt sich weiter ins Meer hinaus und wir sind immer noch mit an Bord.

Jetzt ist auch Peter hier.

Fassungslos schauen wir uns an.


„Das können wir schaffen!“, brüllt Adler plötzlich und bricht das beklommene Schweigen. Wir werfen einfach den Rucksack über Bord und springen!!“


„Wie bitte? Bist du denn von allen guten Geistern verlassen?“, plärre ich entsetzt in sein schweißgebadetes Gesicht. „Springen? Ich glaub, ich hör nicht recht, du spinnst ja!

Adler ignoriert mein Kommentar und gibt sich weiterhin fokussiert.


Konzentriert hält er den Rucksack mit beiden Händen über dem Kopf, atmet tief durch und wirft ihn an das circa 1,5 Meter entfernte Ufer.

Weg is er.

Ich kann nicht glauben, was ich hier sehe. Sein „Klotz“ hat es tatsächlich an Land geschafft.


„Na bitte“, gluckst er freudig. Peter und ich starren ihn immer noch entsetzt an.

In einem weiteren Bruchteil einer Sekunde geht der entschlossene Adler zwei Schritte zurück, nimmt Anlauf und springt.

Der hat doch nicht mehr alle Tassen im Schrank?!?

Man springt doch nicht von fahrenden Schiffen!! Nein, das tut man nicht...

Diese Reling ist wie das verdammte Bermuda Dreieck, hier verschwindet einfach alles!


Mir reicht es, ich reise ab!

Ich werde heiraten, Sozialversicherung einzahlen und in 30 Jahren (bekennende Optimistin!) mit Stützstrumpfhosen in Pension gehen. Hat ja auch was. Kein Meer halt. Und kein Reisen.

Gut, vielleicht muss der Plan doch mal überarbeiten werden...


„Macht schnell, die Kluft wird immer größer!“, schreit Adler laut und holt mich damit aus meiner Tagträumerei.

„Warte“, brüllt Peter und nimmt in vollem Karacho Anlauf.


Jetzt ist auch er weg.

Ich kann nicht reagieren, stehe wie eingefroren am Schiffsende.


Geistige Zusammenfassung:

Die einzigen zwei Menschen, die ich auf diesem Kontinent kenne, sind von einem fahrenden Schiff gesprungen und ich soll ihnen das jetzt gleichtun. Typisch! Wie schaffe ich es nur immer in diese abgefahrenen Situationen zu kommen?!?! Ich weiß es nicht. Beim besten Willen, ich weiß es nicht.

„Spring Birgit! Spring!“, schreien sie zu, während sich das Schiff immer noch weiter vom Steg entfernt.

Nicht denken Birgit, handeln. Wenn ich noch länger überlege, komm ich noch am Panamakanal raus.

Ich werde schwimmen gehen, ich weiß es genau. Weitspringen war noch nie meine Stärke.


Jetzt!

Mein Rucksack fliegt. Er hat es an den Steg geschafft. Ich bin erstaunt. Noch mehr als erstaunt bin ich jedoch überrascht. Denn noch schlechter als Weitspringen kann ich werfen! Der Turnunterricht in der Schule hat sich ausgezahlt.


„Bravo, bravo“, rufen mir die zwei zu, „und nun du!“

Jetzt muss ich wohl, ansonsten sind mein Pass und die Kreditkarte auf Neil, während ich noch immer Schiffchen fahre.

Hektisch stülpe ich meine typisch indische Leinenhose hoch (als würde das noch was helfen), nehme Anlauf und ich s p r i n g!!!






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