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"Soul Surfer"

Damals in Indien


1. Advent Sonntag


Warme Sonnenstrahlen liebkosen mich und kitzeln mich wach.

Fröhlich beobachte ich Affen, die in den grünen Baümen tanzen. Verspielt hangeln sie sich von Baum zu Baum, während sie immer wieder im Dickicht des Dschungels verschwinden, um kurz darauf woanders wieder aufzutauchen.


Die kleine verschlafene Tropeninsel, auf der ich nun den vierten Tag bin, strotzt vor Artenreichtum, Vielfalt und atemberaubender Schönheit.


Die Stille, die Schlichtheit und das entschleunigte Tempo, legt sich wie ein schützender Schleier über mein rastloses Gemüt.

Jetzt kehrt Ruhe ein.

Exotische Vögel, der wolkenlose Himmel und das azurblaue Meer verzaubern mich in eine märchenhafte, mir unbekannte Welt.

Wer hätte das gedacht, ich am allerwenigsten. Wer suchtet tatsächlich!


Meine neu gewonnenen, norwegischen Freunde haben sich gestern verabschiedet und sind Richtung Westen weitergezogen.

Schweren Herzens wünschten wir uns Lebewohl denn, ich entschied mich zu bleiben.


Erkenntnis des Tages: Wenn ich meinen eigenen Weg gehen will, dann muss ich meinen eingen Weg gehen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Komfortzone hin oder her.


Und trotzdem: Ich hadere mit mir. Hin und wieder streifen mich zweifelnde Gedanken. Strapaziere ich mein Glück gerade über und wie weit kann ich noch gehen, wo ich schon so weit gegangen bin?


Aber es ist jetzt nun mal, wie es ist.

Ich mag mein neues Domizil, stelle meinen Rucksack für ein paar Tage in die Ecke und komme an, bevor ich wieder weiterziehe.

Denn eines soll hier auch gesagt sein: Reisen ist schön, aber auch anstrengend.

Die Insel Neil scheint von einer magischen Aura umgeben zu sein und dient für eine Weltenbummlerin, wie mich, als maßgeschneidertes Auffanglager. Ich lächle, denn die wenigen Backpacker, die sich hier mit mir eingefunden haben, haben alle eines gemein:


1) wir treten nicht im Rudel auf

2) halten wenig von kollektivem Gedankengut oder Gruppengewusel

3) Anpassungsstörungen gibt es hier wie Sand am Meer oder Affen im Dschungel. Das liegt wie so oft, im Auge des Betrachters.


Das Lob ich mir. Jeder macht hier sein Ding. Individualismus könnte „hier zu Insel“ glatt seinen Ursprung haben.

Schnell passe ich mich dem unkonventionellen Rhythmus an.

Am Morgen Yoga am Strand, Spaziergänge in der Morgensonne, erfrischende Katzenwäsche in der größten Badewanne der Welt, frühstücken, lesen und schreiben.

Das Leben könnte so einfach sein.


Nachdem die Mittagshitze abgeflaut ist, schwinge ich mein Hinterteil auf den rostigen Drahtesel und strample über die staubigen Schotterstraßen entlang dem Ozan. So viel Bewegung muss einfach sein, sonst setzt sich der Urlaub noch an den Hüften an! Und das will natürlich tunlichst vermieden werden.

Erkenntnis des Monats: Reif für die Insel ist man nur, wenn man reif für die Insel ist.

Vorher nicht.


Andy, mein neuer Nachbar, ein amerikanischer Hawaii-Auswanderer, begleitet mich an den Strand.

Mit seinen grau-melierten Locken, den großen, kugelrunden Augen und dem kleinen Buddha Bäuchlein, hat er sich seiner neuen Heimat optisch optimal angepasst. Wie ein hawaiianisches Chamäleon bewegt er sich über den warmen Sandstrand.


Der 50ig-jährige, ursprünglich aus New York stammende Großstadt Indianer, liebt es, sich sportlich zu verausgaben und schnorchelt stundenlang im Indischen Ozean. Auch ich lasse mich im „brunz warmen“ Wasser treiben und träume dabei vom Surfen.

Das sieht dann ungefähr so aus:

Ladies und Gentleman! Wir bitten um ihre Aufmerksamkeit!


Hier kommt die Tirolerin, die abseits des Meeres aufgewachsen ist und keine Kosten und Mühen scheute, (tatsächlich scheute ich Kosten und Mühen), um ihren Traum zu verwirklichen.

Die Spätberufene tanzt auf den Wellen, als ob sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht hätte. Nehmen sie nun ihre Ferngläser zur Hand, denn dieses Schauspiel dürfen Sie auf keinen Fall verpassen!

Meine Familie und Freunde stehen am Strand und feuern mich mit vollem Körpereinsatz an. Mit österreichischen Fahnen, Tröten und ohrenbetäubenden Zurufen, sichern sie mir ihre Unterstützung zu. Getragen und angesteckt von ihrer Euphorie, tanze ich wie ein Delfin auf der Welle.

Nur durch ihre tatkräftige Unterstützung, welche ich bei meiner Dankesrede durchaus erwähnen werde, war es mir möglich, den Sieg einzufahren. Und diese kleine Spitze muss ich im Interview auch noch loswerden: Wir Österreicher sind eben nicht nur im Skifahren gut.


Ja, so in etwa stelle ich mir das vor.


Meine imaginäre Karriere weist jedoch Lücken auf, denn wenn ich mein Vorhaben realistisch betrachte (Schwachpunkt), dann könnte auf dem Weg nach oben, unten, oder aus der Tiefe, folgendes Problem auftreten:

Ich in eine Hai-Phobie. Chancen auf Heilung ausgeschlossen.

Aber wer surfen will muss auch ins Wasser. Das seh sogar ich ein.

Ich kann nichts dagegen tun, diese unheimlichen Riesen mit ihren Schwanzflossen und den großen Mäulern jagen mir Angst ein. Nicht, dass ich schon mal einen gesehen hätte - Gott bewahre - aber alleine die Vorstellung, dass so ein Großmaul auftauchen könnte, löst bei mir unwiederruflich Schockstarre aus. Jeden Tag wieder, wenn ich im menschenleeren Meer schwimme, höre ich früher oder später die Titelmusik vom weißen Hai. Da strample ich mich brustschwimmend zurück ans hai-freie Ufer und bin überaus dankbar, der Bestie erneut entkommen zu sein.


Der aufgeschlossene Andy beendet seine Unterwassertour vorzeitig und steigt aus dem glasklaren Wasser. Wie ein Fisch bewegte er sich in den Wellen, während ich mir am Strand die Zeit vertreib und talentbefreit, wie ich nun mal bin, meinen Vornamen tanze. (Sozialpädagogische Ausbildung hat tiefe Spuren hinterlassen).


Mich frisst der Neid. Ich wünschte, ich könnte auch so fruchtlos und weit tauchen wie er und nicht nur unkoordiniert im seichten Wasser herumplantschen.


Für heute, so sagt er, hatte er genug „Meer“ und will zurück ins Guesthouse.

Ich begleite ihn.

Das Beach 5 Sunset Resort ist das Zuhause von Andy, Lilkaman dem Eigentümer seiner Familie und mir.

Die Bambushütten gar nicht weit vom Strand, stehen aufgefädelt nebeneinander, während die Hängematten sanft im Wind tanzen.

Spät abends, wenn ich in meiner Hütte unter das löchrige Moskitonetz krieche, lausche ich dem schönsten Hörspiel der Welt. Die nie ruhewollende Brandung und die Musik des Meeres wiegt mich in den Schlaf, bevor ich meine Taschenlampe ausmache und tausende Sterne durch die Ritzen der Bambuswände funkeln.

Glücklicher könnte ich kaum sein.

Erkenntnis der Nacht: „Weniger ist mehr!“

Es braucht nicht immer ein großes Tam Tam, um was her zu machen. Im Gegenteil. Auf „Neilisch“ braucht ein abenteuerliches Backpackerherz, wie meines, nur eines:


Bambus Hütten, eine Open Air Rezeption, Internet freie Zone (soviel Luxus muss sein),

eine Gemeinschaftsküche (meist ohne Strom), einen sympathischen Koch, der sein Handwerk versteht und sich von Katz und Huhn über die Schulter schauen lässt.

Humor fürs Betreten der Gemeinschaftssanitär "Anlage" (zwei WCs mit eingebauter Dusche; Betreten ohne Flip-Flops auf eigene Gefahr!), hawaiianische Nachbarn, Hängematten, haifreies Meer und einsame Strände.


Schmerzlichst vermisse ich nur eines: Ich wünschte, ich hätte einen kleinen Handspiegel parat, damit ich meinen wild-wüchsigen Frida Kahlo Augenbrauen-Look, hier mal Grenzen aufzeigen kann! So viel Eitelkeit muss meiner Meinung nach selbst auf einer abgelegenen Insel sein. Einen Spiegel jedoch, das sag ich dir, suchst du hier im Hindu Paradies so vergebens, wie einen Adventskalender. Den gibt‘s hier auch nicht.






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