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"I werd'narrsich!"

In den letzten Tagen wurde ich vor allem eins gefragt: „Woher, um Himmels Willen, kennst du Tim Cupal?“

Da er schließlich der Hauptgrund für das mediale Interesse an meiner Person ist, will ich euch diese Anekdote nicht vorenthalten. Dass der sympathische ORF-Außenkorrespondent persönlich in unserem Garten stand, hat mit diesem Mann zu tun:


Jesus.


Auch, wenn ich schon lange keinen katholischen Spirit mehr verspüre, fand ich es doch aufregend, den Karfreitag in Jerusalem zu verbringen. Jetzt, da ich schon mal hier bin...


In der überfüllten Altstadt stehen wir, dicht an die Seite gedrängt, neben dem österreichischen Hospiz, einem bekannten Hotel in Jerusalem. Direkt unter der österreichischen Flagge, die dort immer gehisst wird, laufe ich in die Liveübertragung für den ORF, an der er gerade arbeitet.

Ja, die Wege des Herrn sind unergründlich ...

Österreich meets Österreich in Israel. Das verlangt nach mehr.

Und das „mehr“ sah man vor Kurzem in der ZIB2...

( Link dazu auf der Ballagan Facebookseite, denn das Leben ist so viel mehr als Rom).



Rückblick auf die vergangene Woche, 17. Mai.2021

Montag, 09.00 Uhr

Ich bin im Haus meiner Nachbarin und füttere ihre Tiere, da sie vor Tagen in den Norden gereist ist.

Ich schaue in ihren kleinen Teich. Zwei große orange Fische treiben an der Oberfläche ... SSHHIIIIITTTT!!

Geschockt blicke ich in das Sumpfloch, während ich aufgelöst die restlichen Racker füttere.

„Orit“, schreie ich in das Telefon: „Es tut mir so leid, ich weiß nicht, wie das passieren konnte?!“

„OHHHH, no“, meint sie bedrückt: „Wie furchtbar. Ich mochte sie!“

„I am sorry“, sage ich aufgewühlt, während ich auf die leblosen Körper starre. Die vielen Bomben und Alarme waren wohl zu viel für die Kleinen. Benommen wandere ich weiter zum Hühnerstall. Das Federvieh ist komplett. Erleichtert atme ich auf.

11.00 Uhr

Meine Schwiegereltern haben sich angekündigt.

Sie versorgen uns mit Essen, da wir aufgrund der häufigen Angriffe nicht zum Einkaufen gekommen sind. Sie bleiben nur kurz.

Auf ihrem Heimweg heulen wieder die Sirenen. Heute liegen die Beiden, wie wir einige Tage zuvor, auf der Straße, um sich bestmöglich vor den Raketenangriffen zu schützen.


11.30 Uhr

Nachricht von meinem Schwiegervater: „Wir sind Zuhause, alles in Ordnung.“

12.00Uhr

Und dann das! Stell dir nur mal vor: Einmal in deinem Leben klingelt das Fernsehen an deiner Haustüre und du bist tatsächlich vorbereitet! Ich hätte mir nie gedacht, dass geputzte Fenster für mich jemals einen solchen Lichtblick darstellen könnten - tun sie aber...


13.00 UHR

Gal kocht für das ORF-Team, das sich am Vormittag angekündigt hat, Saschukka. Ich schneide als Sous Chef die Früchte.

14.00 Uhr

Der gesamte Süden Israels wird erneut bombardiert. Wir hören einen Sirenenalarm nach dem anderen und kommen kaum noch aus dem Bunker raus.

15.05 Uhr

Unser erster internationaler Besuch. Seit wir umgezogen sind, hatten wir noch keine österreichischen Gäste.


15.15 Uhr

Die Bomben werden weniger. Gemeinsam sitzen wir an unserem Küchentisch. Es ist schön, die Männer hier zu haben, auch wenn es ein sehr trauriger Anlass ist. Ein bisschen Abwechslung tut uns in diesen Tagen gut. Und nebenbei, ein bisschen Deutsch zu reden, ist auch ganz schön..

15.45 Uhr

Wir drehen im Garten, während der Gazastreifen vermehrt angegriffen wird. Wir hören es immer wieder knallen. Die Erde unter uns bebt.


16.30 Uhr

Die drei ORF-Männer verabschieden sich, sie haben es eilig. Am späten Abend soll, laut den jüngsten Nachrichten, Tel Aviv angegriffen werden. Auch hier im Bezirk heulen jetzt wieder vermehrt die Sirenen.

20.03 Uhr

Meine Mutter schreit hysterisch ins Telefon: „Du bist in der ZIB 2! I werd´ narrisch!“

„Was?!“ schreie ich in derselben Lautstärke zurück: „Heute schon??!!!!! Ich habe noch nichts gesehen!? !?!“

„Du schaust müde aus, man sieht, dass du mitgenommen bist, mein Kind“ ...

Ich: „AAEEHHHHH“

Mama: „Jetzt weiß ich, warum du nie mit Kamera telefonieren willst...“


20.04 Uhr

Gal sitzt am Computer, um uns die österreichischen Nachrichten rauszusuchen und findet unseren traurigen „Moment of Glory“. Und mein Mann - weise wie er nun mal ist - weiß auch gleich, was in so einem Moment zu tun ist. Er serviert mir den lauwarmen Weißwein.


23.30 Uhr

Mein Telefon und ich lassen sich heute nicht mehr beruhigen. Ich schalte den „Kasten“ auf lautlos und lege mich in den Saftyroom. Ich muss dringend runterkommen und mich ausrasten, bevor der Bombenhagel wieder von vorne losgeht.


Am nächsten Tag


07. 00 Uhr

Ich bin müde. Die Unruhen dauern an. Die Opferzahlen steigen auf beiden Seiten der scheußlichen Betonmauer. Diesmal brauchen wir alle einen langen Atem.


07.30 Uhr,

Die Tiroler Radiostation „U1“ fragt um ein Interview an.

Neun Millionen Israelis, zwei Millionen hinter der Grenze und die wollen ausgerechnet hören, wie es MIR geht - echt jetzt?


12.00 Uhr

Dan und Shira kommen. Die Beiden wohnen in einem Hochhaus in Beer Sheva und hatten die letzten Tage rund um die Uhr Sirenenalarm.

Sie brauchen Abstand zu ihrer 70 qm Wohnung und einen Tapetenwechsel. Ich kann es Ihnen nicht verübeln, denn es geht uns ähnlich.


12.30 Uhr

Wir kochen zusammen und diskutieren über die neusten Ereignisse.


14.00 Uhr

Gal und Dan sind abwechselnd in Zoom Meetings, während Shira Voice Nachrichten an ihre Grundschüler verschickt.

Ich ziehe mich ins Büro zurück und versuche die Fragen des Radioreportes bestmöglich zu beantworten.

Ich bin unter Druck, über den „Hexenkessel Nahost Konflikt“ zu reden, macht das nicht leichter...


15.00 Uhr

Kaffeepause im Hause Glasserman- Widhölzl.

Im TV sehen wir, dass in den letzten 30 Minuten Beer Sheva fünf Alarme hatte. Gals und Dans Eltern sind wieder im Bunker. Auch ihre Kibbuz steht unter starkem Beschuss.

Bei uns ist es (noch) ruhig.


15.30 Uhr

Gemeinsam sitzen wir an unserem Küchentisch.

Ich fühle mich erschöpft und unwohl. Diverse Zeitungen haben mich um Interviews angefragt, während meine israelische Familie, im Gegensatz zu mir, damit aufgewachsen ist. Sie wissen, wovon sie reden, ich nicht.

„Ich habe eine Idee“, rufe ich, während ich in der Küche auf und ab springe.

„Oh nein“, sagt Gal: „Ich werde immer ganz nervös, wenn du das sagst.“

„Sehr witzig“, antworte ich, während ich ihm zuzwinkere.


„Darf ich euch ein paar Fragen stellen? Ich möchte nämlich, dass EURE Geschichte gehört wird, nicht meine.“


Dan grinst: „Kannst du dich daran erinnern, als wir bei euch zum Skifahren waren?“

„Natürlich“, antworte ich überrascht: „Warum?“

Dan: „Ich bin ein miserabler Skifahrer.“

Ich: „Ja, das bist du!“

Dan: „Ich kann wohl keinem Österreicher etwas über diesen Sport erzählen.“

Ich: „Gott bewahre, nein!“

Dan: „Aber mit Israelis kann ich darüber sprechen.“

Ich: „Hmmmmmm....“

Dan: „Die werden mir zuhören, nicht dir. Obwohl du Skifahren kannst und ich nicht.“

Ich: „Darüber wird debattiert“, schmunzle ich.

Dan: „Verstehst du, was ich meine?“


Ich drehe mich zu Shira um. Sie nickt.

Der Kochlöffel, den ich vorher noch rasch abschlecke, dient uns als Mikrofon: „Shira“, frage ich: „Wie viele Kriege hast du erlebt?“

Shira: „Wow!“ Hilfesuchend schaut sie zu den Jungs: „Das ist eine schwierige Frage - nur Kriege, meinst du? Keine Aktionen oder Operationen, wie diese im Moment?“

Ich: „Ähm, ja?“

Shira: „Kriege waren es...“, sie denkt scharf nach: „Fünf. Oder doch sechs? Helft mir mal!“

„Fünf“, antwortet Gal, während er das letzte bisschen Schokolade auslöffelt.

Mein Gesichtsausdruck spricht Bände. Ich lasse das Ganze unkommentiert und frage weiter.

„Shira“, fahre ich fort: „Du bist Lehrerin für Grundschulkinder mit besonderen Bedürfnissen. Was wirst du ihnen sagen, wenn ihr zurück in die Schule kommt? Und wie wird deine erste Schulstunde aussehen?“


„Sie werden froh sein, wieder dort zu sein. Ein Achtjähriger hatte Geburtstag, das werden wir mit der ganzen Klasse nachfeiern.

Anschließend trainieren wir für den Notfall“, sagt sie routiniert, während sie ihre Brille putzt.

„Und, wie sieht das aus?“

„In der Schule werden Sirenen simuliert, wir machen Zweierreihen und gehen geschlossen in den Bunker. Anschließend setzen wir uns auf den Boden. Jeder Schüler bekommt Wasser und dann singen wir fröhliche Lieder, bis die Angriffe vorbei sind und wir wieder rauskönnen. Danach geht die Schulstunde wie gewohnt weiter.“


„Zweierreihen“, sage ich: „Die hatten wir auch. Zum Sportsaal und zurück!“


Donnerstag, 20. Mai, 21.28 Uhr

Eilmeldung: Die radikal-islamische Hamas bestätigt Medienberichte über eine „gegenseitige und gleichzeitige“ Feuerpause, ab Freitag, 02.00 Uhr.

Darauf stoßen wir an, noch eine Nacht im Bunker, dann ziehen wir nach 13 unruhigen Nächten wieder um. Für den Moment scheint es geschafft zu sein...


4.360 Raketen wurden in den letzten 13 Tagen auf Israel abgefeuert.

Gedanken:

Meine Familie kam vor 40 Jahren in den jungen Staat Israel. Sie alle haben mehrere Nationalitäten. Meine Schwiegereltern stammen aus Argentinien, während ein Teil von Shiras Familie ursprünglich Deutschland kommt.

Immer wieder unterhalten wir uns über die jüngsten Ereignisse. Krieg ist Politik und bringt Gesprächsstoff.

Wir alle stehen für ein Miteinander und eine gemeinsame Welt ein. Trotz Raketenhagel oder vielleicht gerade deshalb. Wir glauben nicht an Grenzen, auch wenn das kompliziert ist.


Weiters:

In den letzten Tagen wurden unter anderem meine Schwiegereltern vermehrt gefragt, warum sie nicht flüchten.

Hier ist ihre Antwort: „Wir sind geflüchtet, damals und haben vor 40 Jahren in Israel unsere neue Heimat gefunden.“


Für jene Länder, die uns mit Bildern von brennenden Israel-Flaggen geschockt und traurig gemacht haben, wünsche ich mir, dass wir alle uns daran erinnern, Teil einer Geschichte zu sein, die noch gar nicht wirklich Geschichte ist...

Simple Lösungen wird man nicht finden. Nicht hier, und auch sonst auf keinem Stammtisch dieser Welt.

Wie gesagt, es ist kompiziert.


Freitag, 21. Mai

Mein Handy klingelt. Ich schaue nach. Orit hat mir ein Whats App Foto geschickt. Ihr Mann kam gerade nach Hause und hat den Teich für sie abfotografiert.

Aufgeschwemmtes Fischfutter treibt an der Oberfläche - ich habe die Fische überfüttert. Jetzt ist es amtlich. Ich bin ein Killer. Der Tod der beiden Fische geht auf mein Konto.


„Gal“, rufe ich: „Wo ist der Autoschlüssel? Ich muss Fische kaufen fahren.“

Ich habe Angst die Antwort zu hören, frage aber trotzdem. Seine Stirn legt sich in Falten.

„Die ersten Stunden nach dem „Krieg“ und du willst in eine Zoohandlung. Warum?“

„Baby, ich sage dir, ich halte das nicht aus. Nur einen Moment war ich nicht achtsam, habe nicht nachgedacht...“

Jetzt bin ich auch ein Täter. So schnell geht das...




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