Dinner for one
Indien.
Alle Jahre wieder, kehrt nicht nur das Jesuskind sondern auch eine neue Auflage meiner To-do‘s auf die Erde nieder.
Pünktlich zu meinem Geburtstag, zerbreche ich mir mein Köpfchen über meine nächsten „Big Five“.
Fünf Dinge, die ich normalerweise nie machen würde ...
Alles ist erlaubt, Hauptsache, es sprengt meine Grenzen.
Wer rastet, der rostet. Wer immer dasselbe macht auch.
Querbeet, große Herausforderungen, die die Welt bewegen (eher selten) oder kleine Challenge’s, die mich anregen, finden sich auf meiner „Fünf Gebote Litanei“ ein.
Hier ist meine Liste:
Fisch essen (meine Geschmackszellen boykottieren erfolgreich Omega 3),
Schlüpfer bügeln, Rolltreppe rückwärts fahren, einen Tag nicht flunkern und alleine in einem Restaurant zu Abend essen.
Heute ist es Zeit für letzteres.
Neil Isalnd Garden Restaurant am frühen Abend
Einer von den drei kleinen Tischen ist besetzt.
Herzlich begrüße ich Andys Freunde, bevor auch ich mich an den nächsten leeren Tisch setze.
Lilly und Chris, die ein Guesthouse weiter wohnen, zelebrieren ein romantisches Candle Light Dinner für zwei. Ja, ein Hauch „gib mir Baby“, liegt in der Luft, als ich das kleine entzückende Restaurant betrete.
Zugegeben, ihre hohe Kunst des Verführens schmälert meinen Ehrgeiz rapide, aber die Liste darf nicht beschummelt werden, das ist Gesetz! Da muss ich jetzt durch.
Beste Strategie in Situationen wie diesen?
Genau, Frau versteckt sich.
Wie ein Jäger in seinem grünen Tarngewand, tarne ich mich hinter meinem Tagebuch und dem Kugelschreiber, während ich mich auf die Lauer lege.
Was für ein „Schmankerl“ erlege ich heute?
Auszug Reisetagebuch:
Viele unterschiedliche Menschen lerne ich auf meinem Solo Trip kennen -am besten den: Mich selbst.
Ich bin überrascht. Ist gar nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte.
Aber wie geht es nach der Reise weiter?
Verändere ich mich oder warte ich, bis sich alles um mich herum verändert?
Was wird aus der Liebe?
Schreib ich sie ab und mach ich einen auf Mutter Theresa? Ich als Nonne - was für ein Brüller!!!
Balu der Eigentümer des schnuckligen Restaurants, überreicht mir die Speisekarte.
Aufgeregt erzählt er mir, dass er seinen kleinen Betrieb aufstocken wolle und morgen früh Finanziers von Port Blair anreisen würden.
Sehr nervös sei er schon, ist er doch knapp bei Kasse und habe noch nie zuvor mit möglichen Investoren gesprochen.
Ich mag Menschen mit Visionen und erkläre mich augenblicklich solidarisch, in dem ich die laminierte Speisekarte mit den Eselsohren rauf und runter bestelle. Hier zählt jeder Rupie!
Für Vorspeisen, Hauptspeisen und Nachspeisen, bezahle ich umgerechnet weniger als 5 Euro.
Für Balu ein Vermögen, für mich verkraftbar.
Aber das war nicht immer so:
Rückblick Paris.
Im sportlichen Anflug erklomm ich mit meiner Schwester den Eiffelturm als uns die bittere Januarkälte erschaudern lässt.
Wir durchlebten einen Cappuccino Notfall, denn nur das zuckersüße heiße Getränk konnte uns vor einer bevorstehenden Amputation der Finger bewahren.
10,50 Euro zog uns der Straßenverkäufer für seine minimalistisch befüllten Pappbecher aus der Hosentasche, als ich mich empört erkundigte, ob er vielleicht die Gebühren der Standplatzgenehmigung mit eingerechnet hätte?!?! Sein französischer Blick - kühler als jede Außentemperatur - erhitzte nun doch noch unsere Gemüter.
Zurück in Indien:
Erkenntnis des Abends: Geld ist relativ. Humor auch.
Es raschelt im Gebüsch.
Erschrocken drehe ich mich um.
Gal!!!
Also doch kein Dinner for one!!! Erleichtert atme ich auf.
Zu zweit ist man weniger allein ... auch ich. Liste hin oder her.
Erwartungsvoll beobachte ich, wie er sein Fahrrad an die defekte Straßenlaterne anlehnt, während ich mir gedanklich ausmale wie wir Lilly und Chirs Konkurrenz machen.
Was die können, können wir schon lange!
Nun betritt der einsame Wolf mit der mystischen Aura das kleine Restaurant unter dem klaren Sternenhimmel.
Freundlich begrüßt auch er die beiden Turteltäubchen während ich aufgeregt hinter meinem Tagebuch hervor luchse.
Endlich.
Jetzt bin ich an der Reihe.
“Hallo Birgit, schön dich zu sehen“, sagt er höflich während er sich mit seinem T- shirt den tropischen Schweiß von der Stirn wischt.
“Danke, gut und selber?“, platzt es aus mir heraus ohne anfangs zu bemerken, dass ich nicht gefragt worden bin.
Jetzt bloß nichts anmerken lassen und weiter machen ...
Er grinst.
“Warst du heute am Strand?„
Ich nicke aufgeregt.
„Ich wollte dich besuchen kommen, aber leider kam mir was dazwischen.“
„Dazwischen??? Das ist eine einsame Insel - da kommt einem nichts dazwischen?!?!?!“, denke ich mir, als ich lächelnd nicht mehr als „schade“ sage.
Balu biegt mit einem randvollen Tablett um die Ecke. Ungläubig schaut Gal auf das Essen.
„Erwartest du noch jemanden“, fragt er verblüfft, während er seine Stirn in Falten legt.
Na toll!! Jetzt denkt er ich bin ein Nimmersatt!
„Nein, nein“, stottere ich unbeholfen.
„Ich wollte doch nur ..... Balu expandiert und...„
Angestrengt versucht er meinen losen Worten zu folgen als er sich räuspert und frische Schweißperlen erneut seine Stirn belagern.
“Mahlzeit und bis später“, sagt er plötzlich - „ich will dich und die heißen Schüsselchen gar nicht länger stören“.
Dann dreht er sich um, zieht den Stuhl vom dritten und letzten Tisch heraus und setzt sich.
Stille.
Das Masala dampft.
Die heiße Luft ist das einzige was noch ein Lebenszeichen von sich gibt. Alles andere verstummt.
N E I N!
Hat der mich jetzt wirklich alleine sitzen lassen?
Ich bin unfähig mich zu bewegen.
Lilly und Chris, sie stecken ihre Köpfe zusammen und schauen traurig wie ausgesetzte Hundewelpen zu mir herrüber.
Ich tue ihnen aufrichtig leid, das ist nicht zu übersehen.
Schnell, ich muss reagieren, sonst werfen sie mir noch ein Stück Brot zu und kraulen mir meine langen Ohren.
ER bekommt von all dem Nichts mit.
Unfassbar!
Dieser Schufft!
Am liebsten würde ich ihm jetzt eins von meinen dutzend Tellern über die Rübe ziehen und seine Mutter anrufen, damit ich ihr brühwarm erzähle, wie ungehobelt ihr Sohn sich benimmt!
Ich muss mich fangen, neu sortieren.
„Birgit!!!„
Ich dreh mich um.
Lilly und Chris winken mir hinter dem golden flackernden Licht hektisch zu.
Mit einer verzogenen Miene schaue ich in ihre verliebten Gesichter.
“Magst du mit uns essen? Wir würden uns sehr freuen“, sagt Chris mitleidig, während Lilly übertrieben nickt.
Na so weit kommt’s noch?! Ein Almosen Dinner!!
Und das alles wegen diesem Israeli!
Mit einem erzwungen Lächeln winke ich ab.
Balu kann das Trauerspiel auch nicht mehr mit ansehen, eilt zu mir und setzt mir sein Baby auf den Schoß.
„Meine Frau braucht Hilfe in der Küche, könntest du wohl?“ Sein Augenzwinkern vervollständigt den Satz.
Ich verstehe seine liebgemeinte Geste und nicke dankbar.
Am liebsten würd ich aufstehen und heulend rauslaufen aber das Baby und ich bleiben sitzen.
Als das Mädchen meine langen Ohrringe als Beißring missbraucht, fasse ich gedanklich zusammen:
1) Kein Besuch am Strand, da dem Herrn was „dazwischen“ kam. Versteh schon! Er hat mich einmal im Bikini gesehen und tut sich das kein zweites mal an?!
2) Ein Restaurant, drei Tische und ich sitze mit meinem Hunger alleine vor dem reichlich gefüllten Tisch.
3) Blickkontakt in den letzten 30 Minuten? 0.0. Seine Lektüre, ein Roman, der jeden normalen Menschen ins Koma katapultiert, erregt ihn mehr als meine wohl ernährte Erscheinung.
Gut, ich brauche keine weiteren Beweise mehr!
Mein schlecht gelaunter Skorpion-Blick, der als Briefkastenschlitz „Karriere“ machen könnte, bestraft den „Übeltäter“ mit Desinteresse und Gleichgültigkeit.
Nur Schade, dass er von all dem nichts mitbekommt, denn er hat als König der Ignoranz schon lange vor mir den Thron bezogen.
Aber warte du Bürschchen!
Egal wie ein Tag gelaufen ist, am Ende werde ich erhobenen Hauptes nachhause gehen, das verspreche ich mir selber.
Abgehakt.
Der erste meiner „Big Five“ wurde unter schwersten Voraussetztugen erfüllt. Das macht mich ein bisschen stolz, denn zu zweit sein ist nicht schwer, allein sein aber um so mehr....
Ich bezahle, verabschiede mich jetzt doch ein bisschen weinerlich und laufe raus zur Laterne, als hinter mir.....
Teil 2 Folgt nächsten Sonntag!
PS: Was würde auf deiner "Big Five" Liste stehen? Ähnliches oder ganz andres?
Was sprengt deine Grenzen? Diskutiere mit und hinterlasse mir ein Kommentar, ich freu mich!
Liebe Birgit... Gratuliere zu dieser gelungenen Story... Soo witzig, redegewand, spannend und fesselnd!!! Echt toll!!! Bravo... Jede Woche hauen mich deinen Geschichten echt vom Hocker!! Freue mich schon auf die Fortsetzung!!!! Lg Ingrid