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Allein sein, muss auch sein


Derzeit ist Indien durch die dramatische Entwicklung der Corona-Situation täglich in den Schlagzeilen. Meine Geschichten über Indien liegen schon ein Weilchen zurück und es mag nun fast ein wenig sonderbar aussehen, wenn ich nachfolgend über das „Land der vielen Wunder“ schreibe. Heute braucht Indien das Wunder und ich hoffe von Herzen, das es ihm schnellstmöglich ereilen mag.



Damals in Indien


10. Nov. 2014 – Montag, Auszug aus dem Tagebuch


21.00 Uhr - Namaste Cottage / Risischkesch.

Kosten pro Nacht. 250 Ruppies (ungefähr 3 Euro)

Bella und eine weitere ehem. Studentin sind auch in der Stadt.

Ich wohne jedoch auf der anderen Seite des Ganges, da ich dieses kleine Schmuckstück im grünen gefunden hab.

Draußen tanzen die Affen auf den Bäumen. Die sind hier wirklich überall. Gern gesehen sind sie aber nicht. Ich mag sie trotzdem.

Durchaus erwähnenswert:

Erste Nacht alleine in einer indischen Unterkunft.

Ganz solo bin ich ja nicht, ich teile mir mein Zimmer mit einem Gecko...


25. November 2014 23.00 Uhr / New Delhi Airport


Schweigend sitzen Bella und ich im Bus und lassen die letzten aufregenden Wochen Revue passieren.

Am frühen Abend treffen wir am Airport ein. Ihr Flug geht nachts, meiner früh morgens.

Der Ashram und das gemeinsame Reisen quer durch das“ anders“ Land, sind ab jetzt Geschichte.


Die Wahl Amerikanerin hat genug von den indischen Gepflogenheiten und versucht ihr Glück ab morgen in Thailand.

Nun gehen wir getrennte Wege, denn ich werde das Land der tausend Farben noch nicht verlassen.

Nach einer innigen Umarmung und dem Gefühl tiefer Verbundenheit, wünschen wir uns alles Gute und dass wir finden mögen, wonach wir so mutig suchen.

Hinter dem großen Panorama Fenster beobachte ich wie ihr Flieger abhebt und wünschte mir nun insgeheim doch, neben ihr sitzen zu dürfen.

Müde und erschöpft sacke ich auf den Boden nieder. Ich kann es nicht fassen.

Jetzt bin ich allein. Indien hat stolze 1,3 Milliarden Einwohner und ich kenne keinen davon.



NEW DESTINATION

Erkenntnis der Nacht: Allein sein, muss auch sein.


Gedanken verloren wandere ich am Flughafen umher.

An Schlaf ist heute nicht mehr zu denken, denn die erhoffte stille Nacht weicht dem nie enden wollenden Lärm der nächtlichen Renovierungsarbeiten.

Ansonsten ist die Halle menschenleer. Mein Inneres spiegelt das außen. Ich bin mutterseelenallein.


Weitere Zweifel überkommen mich, als ich einen kleinen Laden am Ende des Korridors entdecke. Es ist 2.00 Uhr morgens.

Mit meinem 20 kg schweren „mobile home“ auf dem Rücken, betrete ich schüchtern den kleinen Kiosk.


Neugierig mustert mich der Verkäufer, der auf einem abgetragenen alten Drehstuhl sitzt, bevor er mich mit einer typisch indischen Kopfbewegung – wie es nur Inder können - begrüßt.

Irritiert Grüße ich auf österreichisch Zurück . ( Verängstigter starrer Blick mit eingefrorener Miene, während ich verlegen herum tapse).

Sorry, aber mehr Esprit geht um diese Uhrzeit nun wirklich nicht!


Nach diesem herzerwärmenden Autritt ,leisten wir uns, spätnachts unter den grellen Neonlichtern, schweigend Gesellschaft.


Zwischen all den Wasserflaschen, Süßigkeiten und Glimmstängel, die man hierzulande einzeln kaufen kann, entdecke ich einen kleinen mickrigen Zeitungsstand.

Er beherbergt 5 indische und ein englisches Buch. Ein paar zerfetzte Zeitungen sind auch darunter.

Neugierig ziehe ich das dünne, verstaubte Taschenbuch mit dem blauen Cover hervor.

The Andamans


Falls du dich, so wie ich, öfters gefragt hast, wo die Wunder zu Hause sind, hier ist ihre Postleitzahl!

Von dem “verborgenen Schatz“ inmitten des Meeres habe ich nur einmal beiläufig gehört.

Das genügte, um heute Nacht hier alleine mit einem Flugticket zu stehen.


Scharfsinnig, wie ich bin, ahnte ich, dass die Inselketten von Meer umgeben sind (das haben Inseln für gewöhnlich ja so an sich) und weiter kam mir zu Ohren, dass die unberührten Perlen erst vor kurzem für den Tourismus geöffnet sind.

Das reichte.Vorerst jedenfalls. Manchmal ist weniger eben mehr.


Danke Universum, flüstere ich kurz darauf, während ich die Eselsohren des Buches grade biege.

Ich brauchte Zuspruch - und siehe da - hier ist er.


Spontane Erkenntnis zwischen Schuhcreme und Gummibärchen: Wunder geschehen. Noch mehr Wunder geschehen, wenn man alleine reist.


Grinsend wie ein Honigkuchen bezahle ich meine neuste Errungenschaft, bevor ich am Gate meinen Schlafsack ausrolle und einer intensiven, längst überfälligen Augenpflege nachgehe. Erschöpft nicke ich nun doch ein.


Zwei Stunden später:


Es geht weiter.

Rasch verstaue ich mein provisorisches Bett und mach mich reisefertig.


An Bord des kleinen Düsenjets wird mir aber schnell anders. Voller Entsetzen stelle ich fest, dass ich der einzige Backpacker in der vollen Passagierkabine bin. Nicht ein Gleichgesinnter befindet sich an Bord. Das geht jetzt selbst mir zu weit, ich vermute Schlimmes!


Die Lehre dieses Tages: “Pass auf, wie du deine Wünsche formulierst, sie könnten in Erfüllung gehen.”

Ich muss endlich lernen keine halben Sachen mehr zu machen und Detailverliebter zu arbeiten, wie mein Chef schon immer sagte.

Das Universum liefert das, was man sich bestellt. Nicht mehr und nicht weniger! Einsame, menschenleere Strände hab ich gesagt.

Toll, sonst nimmt mich auch keiner wörtlich...


„Komm schon Birgit“, ermahne ich mich selber. „Wie schlimm, wenn nicht gut, kann‘s schon werden??“Und überhaupt: „Immer Angst zu haben , ist doch auch gestorben!“


Unser Flieger, so scheint es mir, ist auch ein Abenteurer. Wie ein Luftmagnet zieht er jedes leere Loch an. Ich fühl mich wie auf einer Loopingbahn und ich hasse es. Die Anschnallzeichen gehen für keine Sekunde aus.


Eine indische Arzt-Familie sitzt neben mir. Der Anführer des gut betuchten Rudels, ein Doktor, trägt ein rotes Flanell-Karo-Hemd, das seinen flotten Kurzhaarschnitt noch mehr zur Geltung kommen lässt. Im Gegensatz zu mir unterhält er sich gerne:

Das sieht dann so aus:

Sie reisen alleine?

Was sagt denn ihre Familie dazu?

Wo ist ihr Mann?

Fühlen Sie sich sicher ohne Reisebegleitung?

Wie bitte keine Kinder?! Wie alt sind Sie denn?

Rumpsch! Der Flieger stürzt wie eine tote Taube senkrecht in die Tiefe. Es dauert mindestens eine hundertstel Sekunde (gefühlt ein Monat ) bis sich die blecherne Kloschüssel wieder fängt und mit dem Wind anstatt gegen ihn fliegt ...


Ich verspüre Todesangst und alle Klopftechniken gegen den Brustkorb, die mich wie einen Gorilla mit Tollwut aussehen lassen, beruhigen mich kein bisschen.


Ich hasse fliegen! Vielleicht bin ich der erste Mensch, der in Zukunft um die Welt wandert. Und wenn meine Füße nicht mehr wollen, dann rolle ich weiter.


Jetzt fällt mir auch noch ein, dass niemand, außer Bella, weiß, dass ich heute auf die Andamanen fliege.


Keiner weiß, wo ich gerade bin.

Der Flieger wird abstürzen! Sie werden Wochen brauchen, um mich zu finden und zu identifizieren. Mein Verstand setzt aus.


Bitte lieber Gott, lass mich diesen Flug überleben. Danach mach ich alles, was du willst. Versprochen! Und bitte mach, dass die Schnattergans zu meiner Rechten endlich ihr „Goscherl„ hält, bevor ich mich vergesse!

Ich schaffe es nicht mich beruhigen. Salzige Tränen laufen mir über die erhitzen Wangen, als mir plötzlich meine Freundin Leni einfällt:


Hör zu, sagt sie mit zusammen gekniffenen Augen, während sie mit beiden Händen nervös an meinen Hosentaschen herumfuchtelt.

Diese Pillen sind für emotionale Notfälle. Pack sie ein, du wirst sie brauchen!

Meine liebe Freundin mit Dreadlocks bis zum Allerwertesten, bringt außer Freude und Humor, berufsbedingt auch noch jede Menge Bedarfsmedikation in mein Leben. God bless her!


Mit einem großen Schluck Wasser spüle ich die Wunderpille hinunter. Meine Muskeln entspannen sich sofort und schon ziehen rosarote Wolken aus Watte an mir vorbei.

Oma bist du das? Ich glaub ich bin im Himmel…











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